Schülerinnen und Schüler des P-Seminars „Jüdisch To Go“ treffen den Sohn eines Holocaust-Überlebenden
Tilmann Wensky, ehemaliger Schüler des Leopoldinums, war dabei und berichtet für die PNP:
„Ich freue mich wirklich hier zu sein – das sage ich nicht oberflächlich”, begrüßt Arno E. die anwesenden Schülerinnen und Schüler. Der 56-Jährige ist Sohn eines Holocaust-Überlebenden und einer katholischen Pockingerin. Auf dem Sterbebett erzählte ihm sein Vater all die schmerzhaften Details seiner Vergangenheit. Nun ist es das erste Mal, dass der Jurist vor Publikum über seine Familiengeschichte spricht. Sein Publikum sind die Schülerinnen und Schüler des P-Seminars „Jüdisch To Go“ des Gymnasiums Leopoldinum unter der Leitung von Antje Spielberger und Schulleiter Markus Birner. Sie recherchieren zu Spuren jüdischen Lebens in Passau, um die Ergebnisse auf einer Website zusammenzutragen.
Arno erzählt schonungslos von den Gräueltaten, die seiner Familie widerfuhren: Sein Vater Abraham stammte aus Sosnowitz in Polen, von wo aus er unter der Besatzung der Nationalsozialisten in das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau deportiert wurde.
Über mehrere Stationen wurde er gegen Kriegsende in das Lager Pocking-Waldstadt verlegt. Dort sollte Abraham noch in Gefangenschaft die zukünftige Mutter Arnos kennenlernen: „Meine Mutter ging unter hohem Risiko am Stacheldraht vorbei und steckte meinem Vater Brot zu,“ erzählt er von den ersten Begegnungen seiner Eltern und einer unwahrscheinlichen Liebesgeschichte.
Nach Ende des Kriegs blieb Arnos Vater als einer der wenigen Holocaust-Überlebenden in der Region. Von 1950 bis 1952 wohnte er mit seiner zukünftigen Ehefrau in der Passauer Altstadt, wo er sich ein Unternehmen als Textillieferant aufbaute. Arno hat einige Ordner voller Fotos und Dokumente dabei, um seine Ausführungen zu illustrieren: Da ist zum Beispiel Abrahams Führerschein, den er absolvierte, um entlegene Höfe im bayrischen Wald mit Textlilien zu beliefern.
Der 56-Jährige ist der Meinung, dass sein Vater während dieser Zeit in Passau vorwiegend glücklich und gut integriert gewesen sei. Er soll sogar mit ehemaligen SS-Männern gemeinsam gekegelt haben. Nichtsdestotrotz hielt sich Abraham über seine Vergangenheit bedeckt. Eine nachvollziehbare Entscheidung, da sich die Familie nach wie vor Hass ausgesetzt sah: „An Hitlers Geburtstag klingelte jahrelang das Telefon und am anderen Ende des Hörers lief Musik von Nazi-Märschen“, erinnert sich Arno. Während seines Jura-Studiums in Passau erhielt er eine Todesdrohung, die darin gipfelte, dass zwei Einbrecher mit Messern bewaffnet versuchten, in seine Wohnung einzudringen. Er konnte sie zwar in die Flucht schlagen, doch es sind Vorfälle wie diese, weswegen er zum Schutz seiner eigenen Kinder nicht öffentlich unter seinem Familiennamen auftreten möchte.
„Die Gespräche mit den Betroffenen haben das Ganze wesentlich greifbarer gemacht als die Texte aus Archiven”, sagt der Schüler Nils Görner nach dem Gespräch. Zum Abschluss richtet Arno einen Appell an die Schülerinnen und Schüler: „Seid keine Dogmatiker – bleibt offen, aber skeptisch!”